Journalismus ist nicht Kunst, nicht Literatur; es geht nicht darum, den eigenen (Schreib-)Stil zu entdecken, zu verfeinern, besonders kreativ zu schreiben oder sich gar schriftstellerisch auszutoben. Journalistische Texte sind Gebrauchstexte, sie müssen informieren, berichten, einordnen. Sonst werden sie nicht gelesen und schon gar nicht gekauft.
Journalistisches Schreiben unterscheidet sich vor allem durch zwei Eigenschaften von unserer normalen Art zu sprechen oder zu schreiben: 1. Journalismus beginnt mit dem Wichtigsten. 2. Journalismus wertet nicht (versucht zumindest, nicht zu werten).
Eine Erläuterung dazu:
1. Im normalen Leben erzählen wir Geschichten von Anfang zum
Ende („Stell dir vor, ich heute Morgen, stehe auf, putze mir
die Zähne. Und dann steige ich ins Auto: …. und dann knallt mir
doch der Idiot hinten rein…“). Journalismus beginnt mit dem
Wichtigsten: Mit dem Unfall.
2. Wir schmücken unsere Geschichten mit Bewertungen und
Gefühlen aus („Das war total abgedreht, und ich stinksauer…“).
Beginnen wir mit den Bewertungen und Gefühlen: Diese
Erzählweise ist menschlich, weltweit verbreitet, schafft Nähe
und Beziehung(en). Aber es ist kein Journalismus. Journalisten
müssen deswegen lernen, Gefühle und Bewertungen im Journalismus
zu erkennen – und lernen, genau das zu vermeiden. Die eigenen
Gefühle aus einem Text herauszulassen, ist in der Regel
einfach, weil Gefühlsäußerungen deutlich erkennbar sind. Bei
Bewertungen ist das nicht der Fall: „nur“, „schon“ und „billig“
werten ebenso wie die Begriffe „Freiheitskämpfer“,
„Revolutionär“ und „Rebell“.
Die dritte Eigenschaft (und Aufgabe) des journalistischen
Schreibens ist es, die oben genannten Grundsätze und Regeln im
Journalismus anzuwenden und gleichzeitig einen Text zu
schreiben, der interessant und verständlich ist. Das ist nicht
einfach, weil journalistische Regeln sich selten mit
Interessantheit vertragen:
„Neue Signale des Fluges MH 370“ (tagesschau.de)
„Flog der Pilot die Geister-Boeing aus Liebeskummer in die
Katastrophe?“ (bild.de)
Die Tagesschau-Überschrift ist möglichst objektiv mit
journalistischer Distanz; die Bild-Überschrift interpretiert,
enthält wertende Begriffe, wirkt reißerisch (auch durch das
Fragezeichen) – regt aber sicher mehr Menschen zum Lesen an,
als die Tagesschau-Überschrift.
Weil Sprechen (Kommunizieren generell) einhergeht mit, häufig unbewussten, Wertungen, ist es für Journalisten wichtig, diese spontanen und unbewussten Wertungen zu erkennen und beim journalistischen Schreiben zu vermeiden. Das Ziel: eine höchstmögliche Objektivität – auch wenn die Texte dadurch nicht den höchstmöglichen Leseanreiz bieten. Zudem ist es später einfacher, von objektiven zu wertenden Texten zurückzufinden, als von wertenden zu objektiven Texten.
Neben der Objektivität geht es um die Verständlichkeit eines
Textes. Texte dürfen keine Stolpersteine enthalten, weder
inhaltlich, noch sprachlich. Während bezüglich der
Vereinbarkeit der Gegensätze „objektiv versus interessant“
unendliche Diskussionen geführt werden, gibt es bei der
Verständlichkeit eine klare Linie: Der
Kommunikationsforscher Friedemann Schulz von Thun hat vor rund
50 Jahren sein Modell der „vier Verständlichmacher“
vorgestellt, das seitdem allgemein anerkannt und auch
angewendet wird:
einfach, kurz, gegliedert, stimulierend. Fürs
journalistische Schreiben bedeutet das:
– einfach: Umgangssprache (ohne vulgär oder populistisch zu
schreiben), „Subjekt-Prädiktat-Objekt“ (SPO), wenige und
allgemein bekannte Fachbegriffe/Fremdworte
– kurz: kurze Worte, kurze Sätze (ohne in den Telegrammstil zu
verfallen)
– gegliedert: Absätze, das Wichtigste am Anfang;
unterschiedliche Aspekte in verschiedene Absätze, keine
inhaltlichen Sprünge, Absätze einleiten, ggf.
Zwischenüberschriften.
– stimulierend: Menschen, Aktionen. Beschreibend, bildhaft
(„Kino im Kopf“), ggf. szenische Einstiege und/oder
Beschreibungen.
In die Eigenschaft „gegliedert“ fällt auch: Auswahl der Informationen. Informationen nach der Wichtigkeit bewerten und dann auswählen, was publiziert werden soll und was nicht. Recherchiert werden 100 Prozent, aber veröffentlicht werden nur die wichtigsten 10 Prozent. Hinter einem journalistischen Text müssen immer noch die restlichen 90 Prozent Wissen stecken. Journalisten müssen immer begründen können, warum sie dieses Wort, diesen Satz geschrieben haben – oder eben nicht. Das gilt natürlich auch für Zitate, Töne und Bilder.